Mit der geplanten Apothekenreform setzt das Bundesgesundheitsministerium die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel. Vor-Ort-Apotheken würden schon bald zu reinen Abgabestellen degradiert – mit dramatischen Folgen für Patientinnen und Patienten. Nicht nur Apothekerinnen und Apotheker machen sich Sorgen, auch Betroffene und ihre Vertretungen äußerten in einer Diskussionsrunde am 12. September 2024 erhebliche Bedenken. Sie befürchten eine weitere Verschärfung der angespannten Versorgungssituation und eine echte Gesundheitsgefährdung beispielsweise durch fehlerhafte Selbstmedikation aufgrund fehlender fachlicher Beratung.
„Gesundheitsversorgung in Gefahr!“ Zu diesem wichtigen Thema trafen sich am 12. September Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verbänden, verschiedenen Heilberufen, Medien sowie Patientinnen und Patienten in den Räumen der Berliner Staatsbibliothek. Sie diskutierten gemeinsam über Risiken für die Gesundheitsversorgung der Menschen, die sich aus der geplanten Apothekenreform des Bundesgesundheitsministers ergeben.
„Wenn wir über Apotheken sprechen, dann sprechen wir über eine essenzielle Säule unserer Gesundheitsversorgung. Die Vor-Ort-Apotheken bieten viel mehr als die Arzneimittelversorgung; sie sind eine unverzichtbare gesundheitliche Beratungs- und Versorgungsinstanz, die jetzt zur Disposition gestellt werden soll“, kritisiert Dr. Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin. „Es ist unverantwortlich, das bewährte System zugunsten vermeintlicher Sparmaßnahmen aufs Spiel zu setzen! Es ist vielmehr sinnvoll, die bestehenden Strukturen zu stärken und zukunftsgewandt weiterzuentwickeln. Es gibt eine Vielzahl von Konzepten, die das stark beanspruchte Gesundheitssystem entlasten und die Versorgung der Bevölkerung verbessern könnten!“, ergänzt Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins.
Die Vor-Ort-Apotheken in Deutschland stehen vor entscheidenden Herausforderungen: Mit über einer Milliarde Patientenkontakten pro Jahr sind sie eine unverzichtbare Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, die in „ihrer“ Apotheke vor Ort heilberuflich versiert beraten werden wollen. Geht es nach den aktuellen Reformplänen des Bundesgesundheitsministeriums, werden die Apotheken dies ab dem kommenden Jahr nicht mehr im bisherigen Umfang leisten können – und damit steht nicht weniger als die Gesundheit der Bevölkerung auf dem Spiel. Vor-Ort-Apotheken sind ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge, bieten sie doch der Bevölkerung einen niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen, ohne dass ein Termin erforderlich ist. „Die geplante Reform könnte zu einer weiteren Destabilisierung der Apotheken führen und damit die Qualität der Arzneimittelversorgung erheblich beeinträchtigen“, sagt Dr. Lucas.
Die wirtschaftliche Lage vieler Apotheken ist bereits jetzt prekär, und die aktuelle Gesetzesvorlage wird diese Situation noch weiter verschärfen. „Sollte das Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet werden, droht der Verlust zahlreicher weiterer Vor-Ort-Apotheken“, warnt Rüdinger und ergänzt: „Wir beobachten schon jetzt einen rasanten Rückgang der Apothekenzahlen. Europaweit ist Deutschland eines der Schlusslichter bezüglich der Apothekendichte. Wenn das Gesetz in der jetzt vorliegenden Form wirklich zur Anwendung käme, wären die Folgen für Patientinnen und Patienten nicht nur in ländlichen und strukturschwachen Regionen, sondern auch in den Städten verheerend.“
Rund 200 Teilnehmende begrüßten Kammerpräsidentin Dr. Ina Lucas und die BAV-Vorsitzende Anke Rüdinger zu der Veranstaltung „Gesundheitsversorgung in Gefahr!“ im Otto-Braun-Saal in der Staatsbibliothek zu Berlin. Alle Rednerinnen und Redner, zu denen Michaela Engelmeier (Vorsitzende des Vorstands des Sozialverband Deutschland (SoVD) e.V.), PD Dr. Peter Bobbert (Präsident der Ärztekammer Berlin), Silke Gebel (Bündnis 90/Die Grünen, MdA), Dena Rostamzadeh (Apothekerin), Melanie Dolfen (Apothekerin), Nicole Praima (Patientin) und Anne-Kathrin Klemm (Vorständin des BKK Dachverbands e.V.) sowie Anne von Fallois (geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung) zählten, waren sich einig: Die Vor-Ort-Apotheken sind mit ihrer qualifizierten Daseinsvorsorge ein niederschwelliges und flächendeckendes Angebot für alle Personengruppen, das auf keinen Fall zerstört werden darf. Gerade die Herstellung spezifischer Arzneimittel und der oft lebensrettende Blick für die Ausnahme kann nur durch eine Apothekerin oder einen Apotheker gewährleistet werden.
Die Apothekerkammer Berlin und der Berliner Apotheker-Verein fordern daher weiterhin zum gesellschaftlichen und politischen Diskurs auf, um gemeinsam mit Politikerinnen und Politikern, anderen Leistungserbringenden aus dem Gesundheitswesen sowie Patientinnen und Patienten darüber zu beraten, wie die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auch in den kommenden Jahren bestmöglich gestaltet werden kann. „Wir möchten im offenen Austausch mit allen Beteiligten gemeinsam Lösungen finden, um das Gesundheitssystem nachhaltig zu stärken“, sind sich Rüdinger und Lucas einig. „Die Apotheken sollten in der Gesundheitsversorgung auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“
Das sagen die Rednerinnen und Redner:
„Für unsere Mitglieder ist die Apotheke vor Ort von zentraler Bedeutung und ein wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge. Denn die flächendeckende Arzneimittelversorgung ist elementare Voraussetzung für eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung und für ein Gesundheitssystem, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt.“ (Michaela Barbara Engelmeier, Vorsitzende des Vorstandes des Sozialverband Deutschland e.V.)
„Eine Gesundheitsversorgung in der Fläche braucht Apotheken, gerade auch für Früherkennung und Vorsorge. Wir können die aktuellen großen Herausforderungen nur gemeinsam mit Ihnen und den anderen Apothekerinnen und Apothekern im Land bewältigen. Denn es ist unser gemeinsames Anliegen, eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung für die Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland sicherzustellen." (Silke Gebel, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses)
„Für mich als Patientin und vor allem als Mutter eines chronisch kranken Kindes wäre es fatal, würde es die Apotheken vor Ort oder auch Apotheken ohne Apothekerin und Apotheker geben. Meine Tochter hat eine atypisch verlaufende Autoimmunerkrankung. Dadurch sind wir auf die Versorgung mit speziellen Arzneimitteln angewiesen. So kann zum Beispiel auch ganz überraschend ein Wechsel der Antibiotika erforderlich werden. „Meine“ Apothekerin vor Ort kennt nicht nur sehr genau alle Wechsel- und Nebenwirkungen, die besonderen Anforderungen unter Berücksichtigung des Krankheitsbilds meines Kindes, sie kann auch diese Medikamente schnell und qualitativ hochwertig herstellen. Sie erkennen oft schon auf den ersten Blick, wo Handlungsbedarf besteht. Das kann keine PTA, das kann kein Online-Portal. “ (Nicole Praima, Patientin und Mutter eines erkrankten Kindes)
„Die Apothekenreform zerstört eine wichtige Säule des Gesundheitssystems und wir als Apothekerinnen und Apotheker brauchen auch eine Sicherheit für unseren Berufsstand. Besonders die vulnerablen Personen müssen wissen, ob ‚ihre‘ Apotheke vor Ort weiterhin eine zentrale Anlaufstelle bleibt.“ (Melanie Dolfen, Apothekerin)
„Die Vor-Ort-Apotheken übernehmen die Rolle ‚First-Level-Supports‘ im Gesundheitswesen eines Landes und somit ist ihre Anzahl meiner Meinung nach ein Index dafür, wie viel Wert die Politik auf das Gesundheitssystem eigenen Landes legt. Dass immer mehr Apotheken schließen müssen – aus finanziellen oder personellen Gründen – zeigt, dass für die Politik ein funktionierendes und stabiles Gesundheitssystem nachrangig ist – mit fatalen Folgen für die Gesellschaft. Für mich als aktive Apothekerin ist eine Apotheke ohne Apothekerin oder Apotheker genauso unvorstellbar wie eine Arztpraxis ohne Ärztin oder Arzt. Das wäre wie ein Gesundheitsministerium ohne Ministerin oder Minister.“ (Dena Rostamzadeh, Apothekerin)
„Die Apotheken vor Ort mit ihren Apothekerinnen und Apothekern sind für eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung unverzichtbar: Sie ermöglichen den schnellen Zugang zu Arzneimitteln, bieten persönliche Beratung und pharmazeutische Dienstleistungen, die zur Qualität und Sicherheit der Versorgung in Deutschland beitragen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sind aus unserer Sicht jedoch strukturelle Anpassungen u. a. bei den Anforderungen an die Eröffnung und den Betrieb von Apotheken notwendig, um diese Leistungen auch langfristig sicherstellen zu können. Auch die Einbindung der Telepharmazie würde neue Beratungsmöglichkeiten bieten und könnte insbesondere in Filialverbünden ein ergänzender Baustein sein, der zur Entlastung und Verbesserung der Versorgung beitragen kann.“ (Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverband e.V.)
Die vollständige Pressemeldung als PDF.
Foto: Sandra Schneider (Spreekind-Fotografie)